Das Andere in uns

 

Die filmischen Brisen an Science-Fiction Remakes, die in den letzten Jahre in den Kinos für Wirbel sorgten, lassen sich variantenreich kommentieren. Man sollte sich dennoch nicht in die Tasche lügen: Moden zu wittern ist eine Kunstfertigkeit der Filmindustrie, jede Mode bleibt dennoch luxus- und gewinnorientiert. Der Markenkern einer Formulierung wie „politische*r Filmemacher*in“ oder „subversive Filmkunst“ war wahrscheinlich schon lange leer und nur ein Kalenderspruch von etwas zu warm gewaschenen Feuilletonisten*innen. Wohltemperierte und gut abgehangene Kritik bleibt so jedoch nur im eigenen Sud ausgekocht. Eher merkt man beim Speisen ein Geschmäckle, serviert von der PR-Abteilung eines Filmverleihs.

 

Nun darf man als Kritiker nicht den Adorno-Fehler machen und zum Kammerdiener des Elfenbeinturms werden. Sehr wohl lässt sich auch Weitergehendes über einige Science-Fiction-Filme der letzten Jahre sagen, ohne sie rundherum als kapitalistische Vampire apriori abzulehnen. Welche Kunst ist heutzutage schon noch frei von problematischen dialektischen Verwerfungen?

 

Zur Sprache kommen sollen die Filme Ghost in the Shell von Mamoru Oshii, sowie die Neuverfilmung von Rubert Sanders. Des Weiteren soll es um Blade Runner von Ridley Scott, sowie Blade Runner 2049 von Denis Villeneuve gehen. Im Kern sollen all diese Filme mit einer gewissen Überlegung von G.W.F. Hegel gegengelesen werden, die erstaunlicherweise selten in dem Zusammenhang erwähnt wird. So hetrogen die Themen dieser Filme auch aufgefächert werden können, soll es hier vor allem um eine banal klingende, aber elementare Frage gehen: Was weist uns als Menschen aus?

 

 

 

Dass René Descartes Namenspatron des grimmigen Rick Deckard aus „Blade Runner“ ist, mag kaum überraschen; so ist Descartes berühmtes „Cogito Ergo Sum“ doch der Dreh- und Angelpunkt so vieler Filme über künstliche Intelligenz. Eine viel besprochene Frage, besonders unter nerdigen Exegeten von Blade Runner, ist, ob Rick Deckard möglicherweise selbst ein Replikant, sprich eine Maschine, ist. Georg Seeßlen verweist zurecht darauf, dass das nur Besserwisserei ewiger Abiturienten ist. Wichtiger ist der Zweifel: Wie menschlich sind Maschinen, wie maschinell oder künstlich sind wir andererseits als Menschen?

 

In Blade Runner 2049 fragt Niander Wallace (Jared Leto) ob Rick Deckard nicht möglicherweise so oder so dazu vorbestimmt war sich in Rachel zu verlieben. Ist der Glaube an ein Schicksal womöglich nichts anderes als ein programmiert sein wie eine Maschine? Das nicht das Denken bzw. das Bewusstsein das entscheidende Kriterium des Menschseins ist, sondern eben der Zweifel lässt sich durchaus auch schon bei Descartes finden.

 

Allzu häufig bleibt der Diskurs (auch von der etablierten Filmkritik) aber an dieser Stelle stehen. Dabei lohnt ein Blick in die Philosophiegeschichte nach Descartes, um die Diskussion voranzutreiben. Friedrich Nietzsche und noch stärker Martin Heidegger verwies darauf, dass unsere Existenz von moralischem Zwang umschlossen ist. Denken und Zweifeln vollziehen sich nicht im „luftleeren Raum“. Descartes Diktum verweist auf das Dasein; Heidegger zeigt dann in einer mystischen Sprachakrobatik, dass Dasein bei weitem nicht dasselbe wie Bewusstsein ist. Vereinfachend könnte man sagen, dass erst das Handeln ein Bewusstsein ausfüllt und unterscheidet uns von anderen, die lediglich ein Dasein fristen. Grundsätzlicher geht es Heidegger darum nach dem Sinn von Sein zu fragen, damit Sein und Dasein nicht bloß reine folgenlose Wahrheit sind.

 

Jean Paul Satre hat eine ähnliche Denkbewegung und entwickelt Descartes weiter, in dem er das Bewusstsein als etwas dynamisches und nicht als etwas statisches versteht. Bewusstsein ist demnach ein Projekt, eine Arbeit an sich selbst, um zu dem zu werden, der man ist. Blade Runner ist dieses Wissen immanent. So entscheidet sich nämlich Rick Deckard am Ende des Films sein Leben zu leben; nicht der Frage nachzuhängen wer wirklich ist und wer künstlich. In Erinnerung kamen ihm dabei die Worte „... denn wer ist heute schon wirklich lebendig?“. Deckard versteckt sich nicht mehr hinter seiner Unaufrichtigkeit, wie auch immer er sie benannt haben mochte („Ich bin nur ein Polizist...“, „Ich bin nur eine Maschine...“, „Ich kann nicht raus aus meiner Alltagswelt...“). Er erkennt, dass er eine Wahl hat und will sie nun nutzen. Rick Deckard ist ein Existenzialist.

 

Will man über das singuläre Bewusstsein reden reicht eine Fahrtkarte Descartes-Heidegger-Satre schon recht weit. In seiner Absolutheit ist der Satz „Ich denke, also bin ich“ aber so wohl nicht haltbar. Er kann es gar nicht alleine entscheiden. Der Mensch ist, weil er in einem sozialen System ist.

 

Es mag an Axel Honneth liegen, dass das Stichwort Anerkennung, so überbordend besetzt ist, aber trotzdem noch nicht seine universelle Bedeutung erkannt wurde. (Vielleicht liegt es aber auch daran, weil Honneth so ein Unsympath ist.) In wie fern unsere sozialen Systeme unser Bewusstsein konstituieren, lässt sich ebenfalls an einigen Science-Fiction-Filmem ablesen. Es finden sich sogar nahezu wörtliche Zitate aus der Philosophiegeschichte.

 

Schauen wir Ghost in the Shell von Mamoru Oshii gibt es etwa in der Mitte einen fast schon unscheinbares Detail in einem Gespräch: Mayor philosophiert darüber, ab wann man ein Mensch ist und bis wohin nur Cyborg. Batou antwortet: „... Und falls du es noch nicht gemerkt hast, man behandelt dich auch wie einen Menschen.“ Mayor greift auf: „Letztendlich definiere ich mich nur über meine Umwelt.“ Beim Thanhäuser Tor: Hegel ruft hier aus Pandoras Büchse.

 

Denn schlägt man in der „Phänomenologie des Geistes“ das Kapitel „Herrschaft und Knechtschaft“ auf, wird dieses Gespräch in ein ganz anderes Licht getaucht. Das Kapitel geht der Frage nach, in wie fern Knechte und ihre Herren in ihrem Bewusstsein und Selbstbewusstsein verschränkt sind. Auf Seite 147 heißt es dann: „Sie anerkennen sich als gegenseitig sich anerkennend.“

 

Mayor kann sich als Mensch fühlen, weil sie von anderen als Mensch anerkannt wird. Nicht das eigene Bewusstsein konstituiert uns als Menschen - wie es noch bei Descartes ist - sondern das Wechselverhältnis mit anderen Menschen macht uns zum Mensch. In Rubert Sanders Verfilmung von „Ghost ihn the Shell“ kommt dieser Hinweis von Dr. Ouelet. Dort reagiert Mayor wesentlich kritischer und glaubt, dass ihr ein „gewisses Etwas“ fehle, was andere Menschen miteinander verbinden würde. Sie vermutet es ist die sozialisierende Vergangenheit, die ihr fehlt. Dr. Ouelet glaubt, dass uns das Handeln als Menschen konstituiert. Leider wird diese durchaus interessante Gegenüberstellung in der Neuverfilmung nur auf Spiegel-Online-Niveau abgehandelt und für eine kitschige Familiengeschichte eingekocht.

 

Nochmal zurückgespult zu Hegel: Von seiner ideengeschichtlichen Tragweite her ist dieser Satz bei Hegel gar nicht zu unterschätzen. Der Mensch, überträgt die Spannungen seines Daseins auf die Welt seiner Mitmenschen und wandelt sich selbst in dieser Bewegung. Es mag hier fast leichte Banalität mitschwingen, aber dieser Satz führt wie eine Reise durch die Gewässer von Sozialität im Allgemeinen und der damit einhergehenden Konstitution des Menschen: Er kann als Erklärungsmodell für Macht und Unterdrückung dienen, bis hin zu den philosophischen Implikationen der Idee Menschen gleich zu behandeln. Denn genau das ist eine zentrale Schnittstelle, die den Umbruch zur Moderne weist und später zu so etwas führt wie den Menschenrechten.

 

Bei Hegel findet man aber auch gleichzeitig die dialektischen Konflikte, die Anerkennung bzw. das Ringen um Anerkennung mit sich bringt. Hegel zeigt die geistige Abhängigkeit eines Herren von seinem Sklaven. Der Herr glaubt voller Macht zu sein und über seine Untertanen bestimmen zu können. Aber diese vermeintliche Macht ist nur eine Suggestion, die sich auf das Bewusstsein des Unterdrückten stützt. Von seinem Bewusstsein her, ist jemand der andere versklavt in Wahrheit ein Sklave seiner Sklaven.

 

Wir schalten nochmal zu Blade Runner: Roy Batty, der Replikant der Leben will, sagt am Ende zu Rick Deckard: „Eine beachtliche Erfahrung in Furcht zu leben. So ist es, wenn man ein Sklave ist.“ Unser Bewusstsein als philosophische Metapher ist gleichzeitig ein unbeweglicher Gegenstand, sowie das unendliche Schnelle. Er macht uns frei, und unterwirft uns.

 

Joe K. fragt in Blade Runner 2049 immer wieder danach, ob unsere moderne Welt nicht immer schon kafkaesk gewesen ist; Sie nicht schon sogar viel viel Länger von Künstlichkeit bestimmt wurde. In wie fern bindet sich unser Bewusstsein, das sich so stark an der Anerkennung durch ein anderes Bewusstsein konstituiert, nicht schon längst auch an die Maschinen. Menschliches Selbstverständnis ist heute fundamental durch mediale Kommunikationsprozesse bzw. durch Inklusion und Exklusion von diesem konstituiert. Wir alle füttern täglich unser Smartphone mit Informationen, damit es noch besser funktionieren kann, in der Hoffnung uns zu optimieren. Das unsere Freiheit auf absolute Weise von der Unumgänglichkeit unseres Bewusstsein bestimmt ist, weist Blade Runner 2049 als Trugschluss aus. Joe K. wünscht sich lange Zeit lang, dass er doch ein Mensch ist um frei sein zu können. Doch erst die Anerkennung durch andere vermeintlich unfreie Replikanten zeigt, es gibt auch Hoffnung, wo eine Macht der Kontrolle und Zahlen zu herrschen scheint. Mag ein bisher tradiertes Modell von Mensch-sein in dieser Dystopie gescheitert sein, so können wir dennoch Mensch-werden. Dafür müssen wir allerdings nicht geboren werden.

 

 

 

Literaturhinweise:

G.W.F. Hegel – Phänomenologie des Geistes. (Herrschaft und Knechtschaft ab S. 145)

Stanley Cavell – Der Anspruch der Vernunft. (S. 596 – 600)

Dietmar Dath – Die Menschen entscheiden, wer Mensch ist. 29.03.2017 FAZ.

Georg Seeßlen – Porträt eines selbstmörderischen Rebellen ZEIT-Online.