Underground, ganz oben

Carl Weissner war „the dirty young tongue unter den deutschen Übersetzern“.

Als Gradmesser für Literatur abseits des Mainstreams ist er noch heute unerlässlich.

Im Juni wäre er 80 Jahre alt geworden.

 

In den späten 1960ern war das noch kein Namedropping im Feuilleton: William S. Burroughs, Allen Ginsberg und Charles Bukowski. Die heutigen Kultautoren lernte Weissner mithilfe eines Fulbright-Stipendiums schon damals kennen. Zwischen New York und San Francisco erkundete er diese heterogene Truppe, die sich selber weniger als Lesezirkel in Dichterpose verstand, sondern eher als „ranzige Riesenamöben“ und „Sackratten des Zen“ mit Stift und Papier. Drugs, Drinks, Read, Repeat. Vor allem mit Bukowski verband Carl Weissner daraufhin eine viel beschworene Schicksalsgemeinschaft. In den 70er- und 80er Jahren war es ihm zu verdanken, dass Bukowski in Deutschland europaweit den größten Erfolg hatte. Nicht nur seine schnörkellosen Übersetzungen trugen dazu bei, sondern auch sein Geschick als Literaturagent und Netzwerker im Kulturbetrieb. Amerikanische Literatur fernab des Mainstreams war zu der Zeit kaum beachtet. Weissner und seine „Kollaborateure“ hatten damit auch großen Einfluss auf deutsche Autoren. Namedropping? Rolf Dieter Brinkmann, Rainald Goetz, Wolf Wondratschek und natürlich Jörg Fauser. Diesen Diskurs hat Weissner immer wieder publizistisch begleitet. In den Jahren vor seinen Tod 2012 auch vermehrt in Romanen.

            Nun erscheint im kleinen Verlag Andreas Reiffer eine Sammlung mit teilweise unveröffentlichten Aufsätzen und Essays von Weissner, die diesen Einfluss präzise nachzeichnen. Die von Matthias Plenzel herausgegebenen „Aufzeichnungen über Außenseiter“ beschäftigen sich mit all jenen Protagonisten der Beat-Generation und Gegenkultur, deren Qualität er schon früh erkannte und den deutschen Lesern nahebringen wollte. Neben den schon genannten, gehörte zum Beispiel auch die Ikone des new journalism Hunter S. Thompson („besessener Freak und Drogenfresser“ dessen Witz die Wahrheit ist) dazu, sowie der heute schon sehr kanonisierte Bob Dylan, dessen Songs er ebenfalls ins Deutsche übertrug.

            Abseits von Übersetzungen und der eigenen Schreibe brachte Weissner auch einige kleine Literaturzeitschriften heraus, die mit Cut-up-Techniken und Montagen experimentierten. Jörg Fauser und der kürzlich verstorbene Jürgen Ploog arbeiteten mit ihm bei dem Magazin „Gasolin 23“ zusammen, dass als eines der vielen Keimzellen für deutschsprachigen Nachkriegs-Literatur abseits der Kategorien eines Marcel Reich-Ranickis gelten muss. Dem momentan durch den Diogenes-Verlag wieder in aller Munde gebrachten Jörg Fauser war Carl Weissner unter den deutschen Gegenwartsautoren das größte Anliegen. Nach dessen frühen Tod mit 43 Jahren 1987 war er der Erste, der eine Gesamtausgabe von Fauser herausbrachte. Der nun erstmals wieder abgedruckte Aufsatz „Clint Eastwood als Hamlet“ muss als Standard-Text über Jörg Fauser gelten. In der ebenfalls ausgezeichneten Textsammlung „Eine andere Liga“ von und über Carl Weissner heißt es zu Fauser: „Für mich ist interessant, dass er überhaupt schreibt, nachdem er jahrelang nichts als Heroin gepumpt und auf seinen großen Zeh gestarrt hat.“

            Das Außenseitertum war immer zweischneidig: Es war Teil der Legende von Underground-Literatur, andererseits immer selbstgewählt. Auch wenn er mit seinen Bukowski-Übersetzungen Millionenauflagen erreichte, verabscheute er stets den Betrieb, der seiner Meinung nach besiedelt war mit „Minds in their asses“. Als Lektor und Scout in einem etwas größeren und ambitionierten Verlag oder als Gonzo-Journalist für Magazine mit solider Leserschaft hätte er groß durchgelüftet. Seine Ambitionen und Können lassen sich jetzt nahezu in Gänze bewundern. Nur aktuellere Entwicklungen wie David Foster Wallace oder Junot Diaz, die durchaus anschlussfähig an Burroughs und Bukowski sind, nahm er nicht mehr auf. Schade drum.

 

Liest man Weissner, kommt man aber auch ohne neuere Autoren*innen in einen nicht enden wollenden Strudel weiterer Bücher, Autoren und Referenzen, von denen er so eindringlich erzählt, dass man sich beginnt zu fragen, mit welchen Büchern man eigentlich seine Jahre bisher verschwendet hat. Ohne Carl Weissner hätte das, was man heutzutage als Pop-Literatur bezeichnet, sicher ganz anders ausgesehen.

Carl Weissner: Aufzeichnungen über Außenseiter. Essays und Reportagen. Hrsg. von Matthias Penzel. S. 246. Verlag Andreas Reiffer. 2020.